Netzfest Tag 1 – Tanzende Roboter und Kids, die Videos produzieren

Netzfest 2019

Netzfest 2019

„Gratis, draußen, für alle!“ – Das Netzfest hält, was es verspricht: Für jung und alt, für digitale Profis und analoge Interessierte gibt dieses Wochenende in Berlin, im Park am Gleisdreieck, sehr viele Vorträge, Workshops und Mitmach-Aktionen rund um die Themen Technologie, Digitalisierung und Datenschutz. Ich war gestern, am Samstag, vor Ort: Ich durfte Kinder bei der Herstellung von Trickfilmen beobachten. Ich durfte eine kolumbianische Dorfschule kennenlernen, in der Videoproduktion kein Problem ist. Und ich durfte einen Roboter beobachten – beim Tanzen. Das Netzfest wird heute fortgesetzt. Ein Besuch lohnt sich.

Ich weiß gar nicht, warum das Netzfest als „Warm up“ für die Internet-Konferenz re:publica bezeichnet wird, die übermorgen eröffnet wird. Warm war es gestern früh nun wirklich nicht. Als ich um 12 Uhr am Gleisdreieck-Park ankam, fror ich bei 8 Grad. Entsprechend wenig Besucher waren auf dem Netzfest zu sehen. Offenbar zog es die Leute bei der Kälte nicht unbedingt nach draußen. Am frühen Nachmittag änderte sich das schlagartig. Alle waren plötzlich da: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren. Und alle waren interessiert – an der digitalen Gesellschaft.

Stände, Workshops und Mitmach-Aktionen

Das Netzfest ist bunt und vielfältig. Der Deutsche Senioren-Computer-Club e.V., die Lange Nacht der Wissenschaften, die Berliner Beauftragte für Datenschutz und die Audiothek audiyou.de – Nur einige der Stände auf dem digitalen Volksfest. 

In Workshops bekam gestern jeder, der wollte, einen kostenfreien Crash-Kurs über die Themen Datenschutz und Datensouveränität. Oder darüber, wie die App TikTok funktioniert. Dass der Radiosender 1Live (WDR) nun bei TikTok auftritt, hat mich nebenbei schon sehr überrascht.

Ansonsten gab es gestern und gibt es heute noch viele Vorträge. Auf der Haupt-Bühne und im Zelt der TINCON, der Teenage-Internet-Convention, der Digital-Konferenz für 13-21jährige.

Wer keine Lust auf Reden und Diskutieren hat, kann auf dem Netzfest an zahlreichen Mitmach-Aktionen teilnehmen. Wikimedia regte gestern jede und jeden an, bei Wikipedia über die Themen zu schreiben, die in der Online-Enzyklopädie vernachlässigt wurden, z.B. Beiträge von und über Frauen. 

Selbstverständlich nimmt auch das Thema digitale Bildung einen breiten Raum ein. Einige Projekte aus der Praxis präsentieren sich auf dem Netzfest. Und die haben es in sich:

Medienbildung auf dem Netzfest – Trickmisch, das digitale Trickfilmlabor

Hüpfburgen und Schminken. So kennen wir Kinderfeste. Auf dem Netzfest gibt es beides nicht. Stattdessen können kleine Kinder Dinge herstellen und dabei sehr viel lernen. Zum Beispiel, wie man eine VR-Brille bastelt – oder eine Leuchtblume – oder einen Zahnbürstenroboter. Basteln ist offensichtlich gar nicht so analog, wie man denkt.

Nirgendwo habe ich aber so konzentrierte Kids gesehen, wie bei Trickmisch, dem mobilen Trickfilmlabor. In diesem können Kinder und Jugendliche einen eigenen Trickfilm produzieren. Dazu müssen sie sich zunächst eine Geschichte ausdenken. Dann Bilder (Schattensilouetten) aussuchen oder selbst welche zeichnen. Im Legetrick-Verfahren müssen sie ihre Bilder immer wieder neu positionieren, um jede einzelne Szenze digital abzufotografieren. Aus den unzähligen Bildern entsteht schließlich ein Trickfilm.

Einige Kinder verbrachten gestern viele Stunden bei Trickmisch. Dabei waren sie offensichtlich hoch konzentriert. Wie ich hörte, wurde ein Trickfilm über die Protest-Aktion „Fridays for Future“ produziert. Und nicht nur das.

Klickmisch.de auf dem Netzfest

Trickmisch.de auf dem Netzfest

Trickmisch arbeitet eigentlich mit Willkommensklassen in Berlin, mit zugewanderten Kindern, die Deutsch lernen. Bei Vimeo sind einige Ergebnisse zu sehen.

Medienbildung in einer kolumbianischen Dorfschule

Mein persönliches Highlight war gestern Max Hutter. Max ist Student der Medienbildung und wohnt in Magdeburg. Im Rahmen eines Auslandssemsters produzierte er mit Schülerinnen und Schülern einer kleinen Dorfschule in Kolumbien ein Video für Schülerinnen und Schüler in Deutschland. Dabei zeigte sich: Die Kids in Kolumbien waren nicht nur hoch motiviert. Sie waren auch sehr gut ausgestattet: Kameras, Video-Software und sogar Drohnen: alles war da. Und sie konnten alle damit umgehen. Ihre Schule brachte ihnen alles bei. Sie beschäftigten sich damit auch nach der Schule, Tag und Nacht. Zeit war offenbar auch genug vorhanden, um sich medial zu entfalten: Von früh bis spät produzierten die Kids – hauptsächlich Jungs – das Video.

Im Gegensatz dazu stieß Max in Deutschland auf viele strukturelle Probleme des Bildungssystems: Datenschutzbedenken, durchgetaktete Stundenpläne, Zeitmangel und Notendruck. Trotz allem haben auch die Schülerinnen und Schüler in Deutschland ein kleines Video produziert, das die Kids in Kolumbien gesehen haben. Inzwischen stehen beide Schulen im Austausch.

Blockiert das deutsche Bildungssystem Medienprojekte? 

Fraglich blieb gestern, ob die in Stundenplänen getaktete und von Noten geprägte Bildungsstruktur in Deutschland dazu beiträgt, dass Kinder und Jugendliche gar nicht die Möglichkeit bekommen, eine zeitgemäße Medienbildung zu erhalten. Tatsächlich wird die Konzeption und Produktion von Medien, v.a. von Videos oder Filmen immer in Projekten realisiert und nicht im Rahmen von Stundenplänen. Ob Projektwochen an Schulen ausreichend sind, um Medienprojekte zu realisieren, wage ich zu bezweifeln. Denn insbesondere Film- und Videoprojekte verlaufen selten nur eine Woche. Auch in der Schule in Kolumbien waren die Kids nicht in einer Woche fertig. Warum eigentlich immer nur Projektwochen? Warum kein Projektmonat? Oder ein Projekthalbjahr?

Im Endeffekt müssen sich Schulen im 21. Jahrhundert fragen, ob sie nicht Projektschulen werden wollen. Wie z.B. die Laborschule in Bielefeld, die generell mit der Projektmethode arbeitet und in der es Noten erst in der 9. und 10. Klasse gibt. Das Projektmethode ist übrigens nichts Neues. Sie geht auf John Dewey (1859-1952) und William Heard Kilpatrick (1871-1965) zurück. Beide Reformpädagogen gründeten Labor- und Projektschulen. Leider mit mäßigem Erfolg. Digitale Medienbildung gab es damals aber auch noch nicht.

Andererseits kann man Medien- und Videoprojekte auch takten und Fächer wie Schauspiel oder Videoproduktion einführen, wie z.B. am Filmgymnasium in Potsdam-Babelsberg. Und natürlich kann man die Konzeption und Entwicklung von Videos mit transparenten und schlüssigen Qualitätskritierien versehen, um sie anhand dieser zu bewerten. Auch in der Schule.

Ich konnte mit Max noch einige Worte wechseln. Er will für meinen Blog einen kleinen Beitrag schreiben oder sogar ein Video produzieren. Ich bin gespannt.

Eine App gegen Mobbing – exclamo auf dem Netzfest

Gestern durfte ich auch Kai Lanz, Jan Wilhelm und Julius de Gruyter von exclamo.org persönlich kennen. Die drei Schüler und Gründer stellten ihre Anti-Mobbing-App vor. Über diese habe ich bereits berichtet. Die App soll im August erscheinen. Ich bin gespannt, welchen Erfolg exclamo haben wird. Die App muss jetzt bekannt gemacht werden, um bei den Schülerinnen und Schülern anzukommen. Dabei können und sollen Schulen Multiplikatoren sein. Aber auch die Bildungspolitik muss digitaler denken. Nicht nur in Berlin. Das wurde gestern klar.

Kai Lanz, Jan Wilhelm und Julius de Gruyter von exclamo.org

Kai Lanz, Jan Wilhelm und Julius de Gruyter von exclamo.org

Der Liebling des Netzfestes: Nao, der tanzende Roboter

Der kleine süße Roboter Nao hat gestern alle verzaubert. Nao kann sprechen, laufen, wieder aufstehen, wenn er umgeworfen wird und er kann Fußball spielen. Eigentlich könnte er noch viel mehr, man müsste es ihm nur beibringen. Mit seinen großen Kulleraugen und seiner kindlichen Stimme wirkte er sehr knuffig. Als er dann aber anfing, Tai Chi  zu tanzen war im Publikum nur noch ein großes „Awww“ zu hören.

Robobter Nao in Aktion - Technikmuseum Berlin

Roboter Nao in Aktion – Technikmuseum Berlin

Nao gehört dem Deutschen Technickmuseum. Dort tritt er im Rahmen der Ausstellung „Das Netz“ öfter auf. Diese Austellung kann während des Netzfestes kostenlos besucht werden darf. Hier sieht man Nao in Aktion:

Entwickelt wurde Nao von Softbank Robotics.

Netzfest – Auch am Sonntag

Es wird heute wieder kühl. 11 Grad wurden vorausgesagt. Das Netzfest lohnt sich trotzdem. Die Vorträge, Workshops und Mitmach-Aktionen sind im Gegensatz zum letzten Jahr alle überdacht. Wer also noch nichts vorhat, sollte heute zum Netzfest gehen. Auf dem Programm stehen Themen wie Künstliche Intelligenz, „Die Schule und das Internet“, Digitale Eltern, Kinderrechte, Datenschutz und der kleine Nao ist auch wieder da.

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