Nach dem heutigen Beschluss des EU-Rats: Welche Auswirkungen haben Upload-Filter auf die digitale Bildung?
Heute hat die Mehrheit der EU-Staaten mit 19 zu 6 Stimmen für die umstrittene EU-Urheberrechts-Reform gestimmt. Darunter auch die Bundesregierung, allerdings mit Vorbehalt. Wenn keine weitere Lösung gefunden wird, ist somit die letzte Hürde genommen, Upload-Filter europaweit einzuführen. Was bedeutet dies nun für die digitale Bildung, für OER-Plattformen oder e-Learning-Angebote? Und warum berichtet niemand über sie?

Das heutige Abstimmungsergebnis im EU-Rat
Der Showdown war heute: Mit 71% wurde die mehrjährige Debatte über die neue EU-Urheberechts-Reform in der Europäischen Union beendet. Artikel 17 (vormals Artikel 13) ist nun endgültig beschlossen. Der Spielball liegt nun in den Mitglieds-Staaten. Wie berichtet, will die Bundesregierung trotz heutigem EU-Rats-Beschluss zukünftig darauf verzichten, Upload-Filter in Deutschland einzuführen. Daher meldete sie in einer Protokoll-Erklärung Vorbehalte gegen Artikel 17 an:
Insbesondere die in Artikel 17 der Richtlinie vorgesehene Pflicht, auf Dauer ein „stay down“ geschützter Inhalte zu gewährleisten, stößt aber mit Blick auf voraussichtlich dabei auch zur Anwendung kommenden algorithmenbasierten Lösungen („UploadFilter“) auf ernsthafte Bedenken und in der deutschen Öffentlichkeit auf breite Kritik. Auch die Abstimmung im Europäischen Parlament am 26. März 2019 hat die tiefe Kluft zwischen Befürwortern und Kritikern aufgezeigt.
Weiterhin heißt es:
Die Vorschrift fordert ausdrücklich, die Ausgewogenheit zwischen den Grundrechten sowie die Möglichkeit zu wahren, geschützte Inhalte im Rahmen gesetzlicher Erlaubnisse auf Upload-Plattformen zu nutzen. Die Bundesregierung geht deshalb davon aus, dass dieser Dialog vom Geist getragen ist, eine angemessene Vergütung der Kreativen zu gewährleisten, „Uploadfilter“ nach Möglichkeit zu verhindern, die Meinungsfreiheit sicherzustellen und die Nutzerrechte zu wahren.
Es bleibt völlig unklar, wie eine Urheberrechts-Reform ohne Upload-Filter aussehen könne. In Deutschland würde solch eine Insel-Lösung der europäischen Idee der Vereinheitlichung widersprechen. Europaweit eine Lösung zu finden wäre angebracht, ist aber schwierig. In der Erklärung der Bundesregierung ist die Rede von einem „Dialog“. Dieser müsse in Europa geführt werden, um Vereinheitichung herzustellen. In diesen wolle sich Deutschland gerne einbringen. Wo dieser Dialog stattfinden soll, wer ihn führt? All das bleibt nebulös.
Im folgenden Absatz plädiert die Bundesregierung dafür, dass – wenn „überhaupt technische Lösungen zum Einsatz kommen“ – dass dann „die Entwicklung von Open-Source-Technologien mit offenen Schnittstellen (APIs)“ zu fördern ist. Was soll das nun bedeuten? Es bleibt abzuwarten, was nun im Bundestag passieren wird.
OER- und e-Learning-Portale – Von Upload-Filtern betroffen!
Interessant ist ein weiterer Punkt in der Erklärung:
Zugleich werden wir klarstellen, dass Dienste wie Wikipedia, Hochschul-Repositorien, Blogs und Foren, Software-Plattformen wie Github, Special-Interest-Angebote ohne Bezüge zur Kreativwirtschaft, Messengerdienste wie WhatsApp, Verkaufsportale oder Cloud-Dienste nicht zu Plattformen im Sinne des Artikels 17 gehören. Die Ausnahme für Startups setzen wir hierzu ergänzend um.
Was in der Auflistung fehlt sind OER- und e-Learning-Plattformen. In der gesamten Debatte ist völlig untergegangen, dass die digitale Bildung betroffen ist Die Politik hat die Zusammenhänge zwischen Lernen und Urheberrecht überhaupt nicht auf dem Schirm. Europaweit nicht. Offensichtlich wird dies in einem Tweet der österreichischen, liberalen Partei NEOS:
Oh, E-Learning ist ein spannender Aspekt dabei, der noch gar nicht so diskutiert wird. Schauen wir uns auch an! (cc @derHoyos)
— Das Neue Österreich (@neos_eu) March 28, 2019
OER-Plattformen sehen ihre Existenz bedroht – und niemand berichtet darüber
OER (Open Educational Ressources) sind Materialien, die unter freien Lizenzen im Internet angeboten werden. Mehr zum Thema findet man bei irights.info. Es gibt zahlreiche OER-Portale wie z.B. meinunterricht.de oder school-scout.de. Beide Portale bieten u.a. Arbeitsblätter zum Einsatz im Unterricht an.
Während meinunterricht.de mit zahlreichen Schulbuchverlagen Kooperationsverträge eingegangen ist, um Auszuüge aus Schulbüchern online zu stellen, können bei school-scout.de Lehrkräfte selbst ihre Arbeitsblätter hochladen. Dabei sei gesagt: Lerhrkräfte haben eine große Erfahrung darin, individuelle und passgenaue Unterrichtsmaterialien zu entwickeln. Dies sollte man nicht unterschätzen.
Einige dieser Materialien tragen Titel wie z.B. „Passiv lernen mit den Simpsons“ oder „Das Römische Reich mit Asterix verstehen“. Solche Arbeitsblätter hochzuladen ist auch ohne Urheberrechts-Reform bedenklich. Zukünftig wären aber Portale wie school-scout.de verpflichtet, Upload-Filter einzusetzen, um solche geschützten Unterrichtsmaterialien beim Hochladen zu erkennen und zu blockieren. Dabei kann es auch passieren, dass ein Arbeitsblatt nicht hochgeladen werden kann, das Zitate aus z.B. dem Jugendroman „Tschick“ enthält, das zurzeit in vielen Schulen gelesen und interpretiert wird. Generell gäbe es dann keine Unterrichtsmaterialien mehr zur Analyse von urheberrechtlich geschützten Werken.
Das OER-Portal zum.de, das ebenfalls Unterrichtsmaterial von Lehrkräften online verfügbar macht, hat bereits im März diesen Jahres, noch vor der Abstimmung im EU-Parlament, einen offenen Brief an die EU-Abgeordneten gesendet. Darin stellen die Vorstände der Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e.V. fest:
Der aktuelle Entwurf der EU-Urheberrechtsreform bedroht zeitgemäße Bildung im Zeitalter der Digitalisierung.
Die Befürchtung, als kommerziell eingestuft zu werden und die Angst vor Klagen ist groß:
Zur Finanzierung unserer Angebote schalten wir Werbung. Erfahrungsgemäß wird erst von den Gerichten entschieden werden, ob wir damit als profitorientiert gelten oder nicht. Bis dahin hängt das Damoklesschwert der Klage über uns – für einen kleinen Verein, dessen Vorstände ehrenamtlich arbeiten, ist dieses Risiko nicht zu tragen. Wir haben nicht die Ressourcen, um Anwälte zu bezahlen und auch nicht die Zeit, uns neben unserer beruflichen Tätigkeit mit Rechtsstreitigkeiten zu befassen. Im Zweifel müssten wir – nach 20-jährigem Bestehen – unsere Plattformen schließen.
Der Brief ist in der Debatte völlig untergegangen. Im EU-Parlament kam er nicht zur Sprache. Die Medien verlieren keinen Ton darüber. Auch viele YouTuber, die im Übrigen auch zu OER-Produzenten werden, wenn sie Tutorials hochladen, verlieren kein Wort zu den Auswirkungen der EU-Urheberrechts-Reform für die digitale Bildung im 21. Jahrhundert. OER-Plattformen werden mit ihren Ängsten völlig allein gelassen.
Werden bald Photoshop-Kurse geblockt?
Darüber hinaus gibt es neben OER-Plattformen auch e-Learning-Angebote im Internet. Photoshop, Excel oder Spanisch lernen? Die Bandbreite der Kurse und Apps ist groß. Es gibt zahlreiche Lernplattformen, z.B. udemy.com oder das Berliner Start-Up sofatutor.de mit seinen zahlreichen Erklärvideos und Lernanwendungen für Schülerinnen und Schüler.
E-Learning-Autoren sind in der Regel Spezialisten im Entwickeln von didaktischen Lösungen. Sie wissen, wie man Text, Bild und Musik so einsetzt, dass der Nutzer etwas lernt. Selten sind sie Fotografen oder Videoproduzenten. In nur wenigen Fällen haben sie Zeit, Bilder, Videos oder Musik selbst zu produzieren. Häufig greifen sie auf Video-, Bild- und Ton-Material aus dem Internet zurück. Manchmal ist es aber nötig, kurze Ausschnitte aus Texten oder Videos als Zitate zu verwenden, um etwas aus der Praxis zu zeigen oder um die Theorie am Beispiel zu veranschaulichen. Zukünftig werden diese von Upload-Filtern erkannt. Die gesamte Anwendung wird dann blockiert. Ein Verlustgeschäft.
Urheberrecht in der digitalen Bildungslandschaft – Wir brauchen Lösungen
Die Digitalierung der Bildung schreitet voran. Wir brauchen Lösungen, um die Frage des Urheberrechts in OER und im e-Learning zu klären – europaweit. Upload-Filter können hier keine Lösung sein. Sie behindern die Vermittlung von freiem Wissen.
Die Bundesregierung hat nun die Chance, bei der Umsetzung der EU-Urheberechts-Reform die digitale Bildung weiter zu stärken und Rechtssicherheit zu schaffen.. Eine Anfang wäre gemacht, würde sie die in den §§ 60a und 60b UrhG erwähnten Bildungseinrichtungen um e-Learning- oder OER-Plattformen erweitern. Dann könnte man – völlig legal – bestimmte Prozentanteile eines Werkes frei nutzen, so wie es in Schulen erlaubt ist. Ich befürchte, bis dahin ist es für so einige Kultusministerien und vor allem für die Bundesregierung noch ein langer Weg – durch die unendlichen Weiten des Neulands.