Deutschlands Schulen sind „Smartphone-freie Zonen“ – Warum eigentlich?
Bitkom hat diese Woche eine Studie zu Handyverboten an Deutschlands Schulen veröffentlicht. Das Ergebnis: Mehr als 54% der Schulen verbannen das Smartphone komplett aus dem Unterricht, 96 % teilweise. Das ist enttäuschend. Denn Konzepte und Ideen zum sinnvollen Einsatz der kleinen Geräte im Unterricht gibt es genug. Man muss sie nur nutzen.
Diese Presseinformation wurde letzten Dienstag von Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.) veröffentlicht:
In mehr als der Hälfte der Schulen (54 Prozent) sind Handys im Unterricht verboten. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung von gut 500 Lehrern der Sekundarstufe I im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. Demnach gibt es in jeder sechsten Schule (16 Prozent) sogar ein generelles Handyverbot – also auch in den Pausen. In vielen Fällen ist die Handynutzung je nach Lehrer und Fach unterschiedlich geregelt. In 45 Prozent der Schulen sind Handys bei bestimmten Lehrern verboten, in 43 Prozent in bestimmten Fächern. Lediglich in 4 Prozent der Schulen gibt es überhaupt kein Handyverbot.
Bitkom positioniert sich zu den Ergebnissen und plädiert für einen zeitgemäßen Einsatz vom Smartphones an Schulen:
Verbote ignorieren die Realität und bewirken oft das Gegenteil“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. „Statt Smartphones wegzusperren, sollten wir unseren Kindern lieber so früh wie möglich beibringen, verantwortungsvoll damit umzugehen und sich sicher, souverän und selbstbewusst in der digitalen Welt zu bewegen.
Handyverbote widersprechen Rahmenlehrplan und Schulgesetz – in Berlin
Medienbildung ist – zumindest in Berlin – ein großer Teil des fächerübergreifenden Rahmenlehrplans. Wozu auch der Umgang mit dem Smartphone gehört. Ich kann nur wiederholen, was ich hier bereits gesagt habe: Handyverbote sind – in Berlin – nicht rahmenlehrplankonform.
Die Verbannung des Smartphones aus dem Unterricht widerspricht darüber hinaus dem Berliner Schulgesetz. Denn dieses sieht im § 2 ein Recht auf eine „zukunftsfähige Bildung“ vor. Medienbildung wird explizit als Querschnittaufgabe der Schule im § 12 erwähnt. Das heißt: Handyverbote sind ein Verstoß gegen das Berliner Schulgesetz. Wo bleiben eigentlich die Klagen?
Handyverbote an Deutschlands Schulen wie in Frankreich? Sinnlos! Sagen viele!
Handyverbote gibt es nicht nur in Deutschland. Als Frankreich 2018 ein landesweites Handyverbot an allen Schulen einführte, stand die Frage im Raum, ob Deutschland ebenfalls solch einen Weg gehen sollte. Das Resultat: Es hagelte Kritik von vielen Seiten. Hier ein kleiner Pressespiegel von damals:
Doch nicht alle Parteien sind mit dem von Macrons Partei La République en marche unterstützten Verbot zufrieden. So beklagten die Abgeordneten der Republikaner (LR) ein „realitätsfernes Gesetz“. (faz.net)
Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) hatte sich gegen ein generelles Verbot ausgesprochen. Schulen sollten eigene Regeln treffen. Vielmehr sei es das Ziel, den Einsatz digitaler mobiler Endgeräte als ein Lernwerkzeug unter anderen pädagogisch und didaktisch fundiert im Unterricht zu verankern. (golum.de)
Die Allgegenwärtigkeit von Medien zu Hause, in der Freizeit und auch in der Schule macht eine umfassende Kontrolle des Medienhandelns Jugendlicher durch Erwachsene so gut wie unmöglich. Darum ist auch eine gut ausgebildete Selbstregulierung im Sinne von Medienkompetenz so wichtig. (tagesspiegel.de)
Ähnlich äußerte sich der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann. „Deutsche Schulen haben größtenteils noch steinzeitliche Ausstattungen, aber die Generation von heute muss auf die Arbeitswelt von morgen vorbereitet werden.“ Solange die Schulen nicht entsprechend ausgestattet seien, um mit staatlich finanzierten Geräten Medienkompetenz zu vermitteln, sei man gezwungen, auf die Medien zurückzugreifen, die die Kinder mitbringen. (zdf.de)
Bring Your Own Device (BYOD) – Ein Einstieg in die digitale Bildung?
Schülerinnen und Schüler sollen ihr eigenes Smartphone in den Unterricht mitbringen, um es zum Lernen zu nutzen, sagt Udo Beckmann vom VBE. So wie sie auch ihre eigene Milch mitbringen, um sie in der Frühstückspause zu trinken? Warum eigentlich nicht?
Das Konzept „Bring Your Own Device“ (BYOD) sieht genau das vor. Prof. Dr. Michael Kerres von der Learning Lab an der Universität Duisburg-Essen klärt über das Konzept BYOD in einem Interview auf:
Der Wissenschaflliche Dienst des Bundestages hat zu „BYOD“ einen „Sachstand“ veröffentlicht. Das Dokument schlummert im Bundestag herum. Dort wird es kaum beachtet. In den für Bildung zuständigen Ländern gibt gar keine Bewegung zum Thema. Schade eigentlich. Da geht viel Potential verloren.
Smartphones im Unterricht – Ideen gibt es viele
Egal ob die Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Smarrtphone in den Unterricht mitbringen oder ob die Schule Smartphones bereitstellt: Es gibt zahlreichen Ideen, wie man die kleinen Geräte sinnvoll in den Unterricht integrieren kann.
So kann z.B. die Kamera des Smartphones genutzt werden, um Experimente zu dokumentieren. Datenschutzrechtlich abgesichert, kann die Video-Funktion für die Aufzeichnung von Rollenspielen genutzt werden, um sie besser auszuwerten. Zahlreiche Apps zum Lernen von Fremdsprachen könnten im Englisch- oder Französisch-Unterricht eingesetzt werden. Recherchieren, Bloggen, Fotos bearbeiten, Videos schneiden oder den eigenen Smartphone-Konsum kritisch reflektieren. Und – daran wird kaum gedacht – den Schulalltag mit digitalen Stundenplänen, Terminkalendern und Noitzblöcken digital organisieren. Oder einfach nur digital mitschreiben. Sehr viel ist möglich.
Florian Prokop vom YouTube-Kanal „about blank“ hat in diesem Video gut strukturiert zusammengefasst, wie Smartphones im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden können:
Schüler und YouTuber Oskar zeigt in diesem Video, wie er sein iPad im Schulalltag sinnvoll nutzt:
Handyverbote – Was sagen Berliner Schülerinnen- und Schülervertreter?
Für den Berliner Landesschülerausschuss (LSA) sind Handyverbote an Schulen ein ständiges Thema. In ihrem – inzwischen über zwei Jahre alten – Positionspapier „Digitale Bildung“ fordern die Landesschülervertreter eine Abschaffung von Handyverboten an Schulen. Und eine bessere Ausstattung mit digitalen Medien. WLAN wäre super. Lernprogramme würden den Unterricht sinnvoll ergänzen. Das eigene Smartphone im Unterricht für Bildungszwecke zu nutzen, das Konzept BYOD, ist aber auch für den LSA bisher kein Thema.
Handyverbote sind nicht zielführend
Alles in allem sind Handyverbote schulrechtlich zweifelhaft und didaktisch nicht zielführend. Schülerinnen und Schüler müssen an Schulen eine zeitgemäße und zukunftsfähige Medienbildung erhalten. Es ist höchste Zeit für ein Umdenken. Ich befürchte: Dafür mangelt es aber an Engagement und an der Bereitschaft, Bewährtes verändern zu wollen. Und das enttäuscht mich sehr.